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Gesundheit

Der Rhythmus des Lebens

Wie die Zeit unsere Biologie beeinflusst

Zeitumstellung. Jeden Frühling und Herbst heißt es von Neuem: Zeit umstellen um eine Stunde! Im Herbst freuen wir uns über eine Stunde mehr Schlaf, müssen sie im Frühjahr aber widerwillig wieder abgeben. Mittlerweile hat die Diskussion um die Zeitumstellung die Öffentlichkeit und das europäische Parlament erreicht. Es wird über die Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Psyche berichtet und debattiert. Aber macht diese eine Stunde wirklich so einen großen Unterschied? Kommt dabei unser biologischer Rhythmus tatsächlich aus dem Takt? Welche Rolle spielt überhaupt der Faktor Zeit in unserem menschlichen Organismus? Da wären wir in der Wissenschaft der Chronobiologie angelangt, dessen Erkenntnisse in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit gefunden haben und dennoch in der Arbeitswelt und im Gesundheitswesen zu wenig Beachtung finden.

Von Mimosen und Bunkern

Im 18. Jahrhundert beobachtete Jean Jacques d’Ortous de Mairan, ein französischer Geophysiker (1678 – 1771), bei Mimosen eine Bewegung der Blätter in Abhängigkeit von der Tageszeit: Am Tag hoben sich die Blätter und in der Nacht senkten sie sich. 1729 unternahm er ein Experiment, in dem er die Mimosen völliger Dunkelheit aussetzte und die Bewegung der Blätter beobachtete. Die Pflanzen hielten die tägliche Rhythmik mit einer gewissen Ungenauigkeit bei, und der erste endogene (aus sich kommende) Rhythmus war entdeckt.

Ab 1963, also über 200 Jahre später, in Andechs, einem Ort südwestlich von München, führte Jürgen Aschoff (1913 – 1998), deutscher Biologe und Verhaltensphysiologe, »Bunkerexperimente« mit Studenten durch. Dabei verbrachten die Studenten teils mehrere Wochen in einem alten schalldichten Wehrmachtsbunker und später in einem eigens für solche Experimente gebauten »Bunker« ohne Zeitmesser und Einflüsse von außen. Die Probanden bestimmten die Wach-, Schlaf- und Essenszeiten selbst. Dabei hielten die insgesamt 300 Versuchspersonen über Monate lang einen inneren Tag-Wach-Rhythmus mit einer mittleren Periodendauer von 24,86 Stunden aufrecht. Diese Versuche deuteten auf die Existenz einer »inneren Uhr« hin, die ohne äußere Einflüsse (Zeitgeber) einen eigenen Rhythmus generieren kann. 

Zusammen mit Erwin Brünning (1906 – 1990), Colin Pittendrigh (1918 – 1996) und anderen ist Aschoff der Mitbegründer der Chronobiologie, die sich mit der zeitlichen Organisation von biologischen Systemen und Prozessen befasst und deren Gesetzmäßigkeiten auf verschiedenen Ebenen eines Organismus erforscht. 2017 wurden die Wissenschaftler Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für ihre Entdeckungen hinsichtlich der Genetik der inneren Uhr mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Die Chronobiologie wurde dadurch erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. 

Ein großer Uhrenladen

Wie verschiedenste Experimente belegen konnten, gibt es eine »innere Uhr« in unserem Körper, die die zeitlichen Abläufe der biochemischen Prozesse steuert. Dabei handelt es sich aber nicht um eine homogene und zentrale Uhr, die sich irgendwo in unserem Körper befindet. Vielmehr besitzt jede Zelle mindestens eine innere molekulare Uhr mit der Fähigkeit, eigene Rhythmen zu erzeugen. Somit verfügt jedes Organ und der menschliche Organismus als Ganzes über eine »innere Uhr«, die aus Billionen von Einzeluhren besteht. Die Basis dafür bilden bestimmte Gene. Zu Beginn der Forschungen ist man von 8-9 Genen ausgegangen, die damit beschäftig sind, die innere Tagesrhythmik der Zellen zu ermöglichen. 2010 kam man zu dem Schluss, dass es fast kein Gen gibt, das nicht auch chronobiologisch abgestimmt ist.

Die Periodenlänge der verschiedenen Rhythmen in unserem Organismus, die durch diese Uhren gesteuert werden, kann von (Milli)Sekunden (Nervenaktion; Blutdruckrhythmik: 5 Sekunden Anstieg, 5 Sekunden Abfall) bis Wochen (Fruchtbarkeitsrhythmus der Frau) dauern. Hier sei besonders der zirkadiane Rhythmus erwähnt, bei dem es sich um eine Periode von zirka 24 Stunden handelt (lat. circa = etwa, dies = Tag). Diese rhythmischen und immer wieder auftretenden Vorgänge betreffen den ganzen Organismus wie Herz, Nieren, Leber, Hormonhaushalt, Stoffwechsel, Muskelspannung, Konzentration, Blutdruck und Körpertemperatur. Selbst das Schmerzempfinden ändert sich über den Tag mit einem Maximum um 0-3 Uhr – weshalb in der Nacht Schmerzmittel schlecht anschlagen –, und einem Minimum am Nachmittag, wo Schmerzen besser toleriert werden können. Ebenso treten Krankheiten wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle zu bestimmten Zeiten gehäuft auf.

Ein weiterer wichtiger Rhythmus ist der Wochenrhythmus oder der zirkaseptane Rhythmus (lat. septem = sieben). Dieser scheint ebenfalls in unserer Biologie verankert zu sein und spielt unter anderem eine Rolle im Rahmen von Heilungs- und Regenerationsvorgängen. Bei Kindern mit Scharlach oder nach der Entfernung eines Zahnes kann im Verlauf der Krankheit bzw. des Heilungsprozesses eine Wochenrhythmik beobachtet werden. Bei Transplantationen scheint ebenfalls der 7., 14. und 21. Tag kritisch im Bezug auf Abstoßungsreaktionen zu sein. Interessanterweise sind Versuche mit der Einführung einer Fünf-Tage-Woche (russische Revolution) und einer Zehn-Tage-Woche (französische Revolution) gescheitert. Unser Körper ist auf eine Sieben-Tage-Woche ausgelegt.

Uhrenabgleich

Der Begriff »Zeitgeber« wurde von Aschoff geprägt. Wie wir von seinen Bunkerexperimenten gelernt haben, hat sich der zirkadiane Rhythmus der Probanden ohne äußere Einflüsse (Zeitgeber) auf knapp 25 Stunden verlängert. Somit wurde jeder Tag um eine Stunde nach hinten verschoben. Deshalb ist unser Körper auf äußere (exogene) Zeitgeber angewiesen, die den Takt angeben und alle Uhren miteinander und den Organismus als Ganzes mit der Umwelt synchronisieren. Der Generatormechanismus des zirkadianen Rhythmus wird durch Nervenzellen in unserem Gehirn gesteuert, die oberhalb der Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum) in einem Kern liegen, der suprachiasmatischer Nucleus (SCN) genannt wird. Diese Nervenzellen sind mit verschiedenen Gehirnregionen verbunden. Eine besondere Bedeutung spielt dabei das Auge. Dort wurden in der Netzhaut Nervenendungen gefunden, die Melanopsin enthalten und besonders im Grün-Blau-Farbbereich empfindlich sind. Es handelt sich hierbei um Photorezeptoren, die die Lichtintensität erfassen, aber nichts mit dem eigentlichen Sehen zu tun haben. Entfernt man bei Hamstern den SCN, verlieren sie die zirkadiane Rhythmik. Somit stellt der SCN den zentralen Schrittmacher des zirkadianen Rhythmus dar.

Aus dieser hier beschriebenen Physiologie ergibt sich der wichtigste Zeitgeber überhaupt: das Tageslicht. Um einen Effekt zu erzielen, sollten hierbei 2500 Lux erreicht werden (Beleuchtung: 50-500 Lux, im Freien 8000-10000 Lux). Andere Zeitgeber für unseren Organismus sind Essenszeiten, Beruf, Freizeitleben und letztendlich jede Tätigkeit, die wir zu einer bestimmten Zeit wiederholt ausführen.

Die Bedeutung von Zeitgebern für unseren Körper zeigen Versuche mit Vollblinden, die an beträchtlichen Abweichungen der Tagesrhythmik und an Schlafstörungen litten. Für 3 Wochen hat man ihnen am frühen Morgen einen Komplex an »Ersatzzeitgebern« verabreicht: pünktliches Wecken, kalte Dusche, eiweißreiches Frühstück, 20 Minuten Ergometerarbeit. Das Resultat war eine deutliche Verbesserung der zirkadianen Rhythmik und der subjektiven Schlafqualität.

Das Lied von den Lerchen und Eulen

In der Chronobiologie werden die Menschen in Chronotypen eingeteilt: Es gibt Morgen- und Abendmenschen, die auch gerne als Lerchen und Eulen bezeichnet werden, wobei der Übergang fließend ist und eine Einteilung deshalb nicht so plakativ vorgenommen werden kann. Für die Ausprägung spielen unsere Gene eine Rolle, und so unterscheiden sich die 

einzelnen Chronotypen in ihrem Zeitpunkt der niedrigsten Temperatur, der Veränderung des Hormonspiegels, der Leistungsfähigkeit sowie der Wach- und Schlafphasen. Diese innere Uhr lässt sich kaum verstellen. Im Kinder- und Erwachsenenalter kommt der genetisch geprägte Chronotyp zur Ausprägung, wobei sich in der Pubertät der Abendtyp zeigt. So haben beispielsweise Kinder bzw. Jugendliche von einem späteren Schulbeginn mit besseren Leistungen in der Schule profitiert. Im Alter werden die zirkadianen Rhythmen schwächer und weniger präzise und so verliert die Rhythmik ab dem 70. Lebensjahr an Kontur. Dabei spielen hormonelle Faktoren eine Rolle. Neugeborene hingegen haben Rhythmen von 3-4 Stunden, die als ultra-dian bezeichnet werden und antrainiert werden können. Wenn man ihnen jedoch ihren eigenen Rhythmus lässt, sind sie ruhiger, schreien weniger und es fällt ihnen leichter, einen zirkadianen Rhythmus zu entwickeln, den sie mit 5 Jahren ausgebildet haben sollten.

Leben gegen den Uhrzeigersinn

Störungen im Zeitsystem unseres Körpers wie beispielsweise ein Jetlag bei Reisen oder eine schlaflose Nacht können vorübergehend kompensiert werden, aber auf lange Sicht führen sie zu körperlichen und seelischen Dysfunktionen. Ignoriert man die Tagesrhythmik, kann das zu Schlafstörungen, Leistungsabfall, Verstimmungen, Depressionen führen und das Risiko für körperliche Erkrankungen erhöhen. So zeigten die Versuche Aschoffs und anderer Chronobiologen erstmals, dass eine Abtrennung der inneren Rhythmik von den äußeren Rhythmen psychiatrische Symptome wie Depressionen bis hin zu psychotischen Zuständen auslösen konnten. Interessanterweise sind eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus oder Schlaflosigkeit erste Symptome dieser Erkrankungen.

Im Jahr 2000 sorgte eine Studie für Aufsehen, die ursprünglich von der Isländischen Fluggesellschaft »Icelandair« in Auftrag gegeben wurde. Sie beobachteten ein erhöhtes Auftreten von schwarzem Hautkrebs (Melanom) bei Piloten. Als Ursache wurde neben der kosmischen Strahlung eine erhöhte Sonnenexposition an den Zielorten wie in Afrika vermutet. Jedoch hatte die Gruppe der Ost-West-Flieger ein fünfmal höheres Risiko, an einem Melanom zu erkranken, als die der Nord-Süd-Flieger. Die vermutete Ursache für die Ergebnisse war der Jetlag.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen weitere Studien. So gab es einen Zusammenhang zwischen der Nacht-Schichtarbeit unter Krankenschwestern und dem Brustkrebsrisiko. Ein potentieller Risikofaktor ist dabei die Lichtexposition während der biologischen Nacht. Häufige Nachtschichten erhöhen das Brustkrebsrisiko für Nachtschichtarbeiterinnen. Dabei steigt das Risiko in Abhängigkeit zur Länge der Nachtarbeit und zum Chronotyp. Die Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs zu erkranken ist bei langjährigen Nachtschichtarbeiterinnen, wenn sie Morgentypen sind, um das Vierfache erhöht. Ähnliche Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und der Entstehung von Prostatakrebs.

Aber nicht nur ein Überfliegen von mehreren Zeitzonen bzw. die Arbeit in Schichten oder während der Nacht stört unseren biologischen Rhythmus. Weitere Störfaktoren sind vorgegebene Arbeitszeiten, das Leben und Arbeiten in Gebäuden, zu wenig Lichtexposition, unregelmäßige Essenszeiten, ausgeprägtes Nachtleben und generell ein »unregelmäßiges« Leben. Chronobiologen sprechen von einem »sozialen Jetlag«, der in unserem heutigen Leben massiv zunimmt. Im Deutschen Ärzteblatt ist zu lesen: »Dieser ›soziale Jetlag‹, bei dem die biologische und die soziale Uhr im Widerstreit sind, führe nicht nur zum dauerhaften Schlafdefizit, sondern nach ersten Studien auch zu Übergewicht, Diabetes, Depressionen, Alkoholismus und Auswirkungen auf das Immunsystem, da es stets zur ›falschen‹ Zeit aktiviert werde.« (Dtsch Arztebl 2013; 110(1-2): A-26 / B-24 / C-24) Durch einen Mangel an Zeitgebern rutscht unsere innere Uhr – wie bei den Versuchen von Aschoff – nach hinten und unsere Schlafdauer wird verkürzt. Die Morgentypen gehen zu spät ins Bett und die Abendtypen müssen zu früh aufstehen. 

Ein Forscherteam um den Chronobiologen Till Roenneberg führte Untersuchungen mit 500 Testpersonen durch. Die Ergebnisse zeigen, welche Folgen der »soziale Jetlag« auf das Gesundheitsverhalten von Menschen hat. Je stärker der soziale Jetlag, desto mehr Stimulanzien wie Alkohol oder Nikotin wurden konsumiert.

Selbst eine Zeitverschiebung um eine Stunde bei der halbjährlichen Zeitumstellung hat Folgen für die biologischen Rhythmen unseres Körpers. Die Schlafqualität und -quantität wird merklich beeinträchtig und laut Untersuchungen kommt es nach einer Zeitumstellung zu einer vermehrten Anzahl von Herzinfarkten. Einer US-amerikanischen Studie zufolge, waren am Tag nach der Zeitumstellung 5,7 % mehr Arbeitsunfälle zu verzeichnen. Was eine Steigerung der Verkehrsunfälle nach der Zeitumstellung betrifft, gibt es widersprüchliche Studien.

Und dabei leiden nicht nur wir als Menschen unter der Missachtung der zirkadianen Rhythmen, sondern auch unsere Mikroorganismen im Darm, die sozusagen ebenfalls einen Jetlag erleiden und dadurch aus dem Takt geraten und sich verändern. Die Folgen können Übergewicht oder eine Glucoseintoleranz sein.

Laut Privatdozent Dr. med. Dieter Kunz, Chefarzt der Klinik für Schlaf- und Chronomedizin im St.- Hedwig-Krankenhaus Berlin, sei es höchste Zeit, dass sich die Medizin endlich die Konsequenzen bewusst macht, die die Verletzung der Gesetze der inneren Uhr nach sich zieht. »Ich glaube, dass uns die Vernachlässigung chronobiologischer Erkenntnisse in den nächsten zehn Jahren wie ein Tsunami überrollen wird … Wir müssen begreifen, dass Nachtschichten und die ständige Missachtung der zirkadianen Rhythmen krank machen und dass wir 

einfach nicht dafür gebaut sind.« Dazu gebe es »Berge von Befunden«. Dtsch. Ärztebl. 2017; 114(40): A-1784 / B-1518 / C-1488

Schlaf – Jungbrunnen für unseren Körper

Wir verbringen ca. 25 Jahre unseres Lebens im Schlaf. Das ist aber keine verlorene Zeit, wie man manchmal denken könnte. Während des Schlafs werden Dinge des Tages verarbeitet und geordnet. Der Schlaf spielt eine wichtige Rolle in der Gedächtnisbildung. Weiterhin werden bestimmte Hormone nach einer zeitlichen Abfolge ausgeschüttet, und es laufen Stoffwechselprozesse ab, die der Regeneration unseres Körpers dienen.

Unser Schlaf läuft in Phasen ab, die sich mehrmals wiederholen. Diese Phasen dauern 90-120 Minuten und wiederholen sich durchschnittlich fünfmal. Studien in Japan und USA haben gezeigt, dass man die höchste Lebenserwartung bei einer Schlafdauer von 7,5 – 8 Stunden hat. Erholung erlangen wir vor allem in Tiefschlafphasen. Diese enden spätestens nach 5 Stunden bzw. nach 3 Uhr, je nachdem was früher eintritt. Je näher man an 3 Uhr einschläft, desto kürzer ist der Tiefschlaf. Deshalb sorgt die innere Uhr dafür, dass bereits vier bis fünf Stunden vorher Bettschwere auftritt.

2014 entdeckte die dänische Neurobiologin Maiken Nedergaard feine Kanäle, die in die Gehirnrinde hineinführen und sich während des Schlafs öffnen. Das Ganze wird »Glymphatisches System« genannt und spielt eine Rolle bei der Elimination von gesundheitsschädlichen Substanzen aus dem Gehirn während der Tiefschlafphasen.

Ab der ersten Tiefschlafphase wird Wachstumshormon ausgeschüttet und unser Immunsystem aktiviert, das fremde Erreger und Krebszellen mit Hilfe von reaktiven Sauerstoffmolekülen bekämpft. Melatonin neutralisiert die daraus resultierenden Sauerstoffradikale und schützt dadurch unsere gesunden Zellen. Es ist unser »Schlafhormon«, das unter anderem von der Zirbeldrüse (Epiphyse) in unserem Gehirn während der Nacht ausgeschüttet wird, ihr Maximum um 1-3 Uhr morgens erreicht und uns müde macht. Melatonin ist unser bestes Antioxidans und schützt somit unsere Zellen vor Schädigung und vorzeitiger Alterung. Es wird aus Serotonin hergestellt, das am Tag durch Lichtreize produziert wird. Die Melatoninsynthese kann aber auch sofort gebremst werden, und zwar durch Licht. Dabei spielen die bereits erwähnten Photorezeptoren im Auge eine Rolle, die besonders empfindlich auf Reize im grün-blauen Lichtbereich reagieren. Blaues Licht wird durch unsere elektronischen Geräte wie Handys, Tablets, Computer und Fernseher sowie durch LED- und Stromsparlampen abgestrahlt. Die klassische Glühbirne oder Halogenlampen haben diesen Effekt nicht. Setzen wir unsere Augen vor dem Schlaf oder in der Nacht solchem blauen Licht aus, denkt unser Gehirn, es sei noch helllichter Tag. Die Folgen können Schlafstörungen sein. Zudem führen schon schwache Lichtquellen jeglicher Art im Schlafzimmer zu einer Reduktion der Melatoninproduktion. Deshalb ist es besser, in absolut abgedunkelten Zimmern zu schlafen und kein Licht in der Nacht anzuschalten. Kaffee am Abend verzögert ebenfalls die Melatoninproduktion. Ab ca. 4 Uhr morgens wird das Hormon Cortisol pulsierend ausgeschüttet, welches das Immunsystem dämpft und den Körper für den Tag vorbereitet. Der Schlaf wird oberflächlicher.

Wie wir bereits gesehen haben, kann ein sozialer Jetlag und der damit verbundene Schlafmangel zu Übergewicht führen. Eine Rolle spielt dabei das appetithemmende Hormon Leptin, durch das wir eine Nacht »überstehen« können, ohne groß Hunger zu bekommen. Bei Testpersonen mit weniger als 4 Stunden Schlaf wurde weniger Leptin ausgeschüttet. Dafür wurde mehr von dem appetitanregenden Hormon Ghrelin freigesetzt.

In Deutschland schläft weniger als jeder Zweite gut. Jeder Zehnte hat eine behandlungsbedürftige Schlafstörung. Die Folgen sind laut einer Studiengruppe von der Havard School of Medicine dramatisch: doppelt so viele Depressionen, dreimal höheres Risiko für Burnout, viermal häufiger auftretendes Einschlafen am Steuer beim Nachhauseweg von der Arbeit, anderthalbmal mehr Magen-Darm-Erkrankungen, dreimal mehr Angsterkrankungen und zweimal schlechterer Gesundheitszustand.

Versuche an Mäusen haben gezeigt, welche Auswirkung eine Schlafstörung bzw. mangelnder Schlaf auf das Tumorwachstum haben kann. Mäuse wurden mit Tumorzellen beimpft und nach lediglich 28 Tagen hatte die Gruppe mit Schlafstörung einen 2-4 mal größeren Tumor als die Mäuse mit normalem Schlaf-Wach-Rhythmus. 

Die Ergebnisse der Schlafforschung ließen den Schlafforscher Prof. Dr. Jürgen Zulley zu der provokanten Aussage animieren, Schlafmangel würde dick, dumm und krank machen.

Taktgefühl

Die Erkenntnisse aus der Chronobiolgie der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass viele Funktionen unseres Körpers eine bestimmte Rhythmik aufweisen und der Faktor Zeit dabei eine sehr wichtige Rolle spielt. Einen wichtigen Impuls stellen dabei die Zeitgeber dar, die entweder natürlich in der Natur vorkommen, wie beispielsweise das Sonnenlicht, oder die wir selber gestalten können wie Essens- oder Schlafenszeiten.

Unsere Mahlzeiten gehören zu den wichtigsten Zeitgebern. Deshalb ist es gut, sie immer zur gleichen Zeit einzunehmen. Am Morgen ist unsere Körper auf Wärmeproduktion eingestellt und braucht deshalb ein reichhaltiges Frühstück. Am Abend wird die Körpertemperatur hingegen langsam reduziert. Deshalb ist es besser, am Abend schwere, kohlenhydratreiche und zu späte Mahlzeiten zu meiden, denn die überschüssige Energie wird in Körperfett umgewandelt und die Glucosetoleranz nimmt am Abend ab, was vor allem für Prädiabetiker ein Problem darstellt. Außerdem führen späte Mahlzeiten zu einem niedrigen nächtlichen Leptin- und Melatoninspiegel. Empfehlenswert sind maximal drei Mahlzeiten am Tag mit einem Abstand von 4-6 Stunden ohne Zwischensnacks.

Genauso verhält es sich mit den Schlafenszeiten. Regelmäßige Zeiten zum Aufstehen und Schlafengehen geben unserem Körper die notwendige zeitliche Struktur. Diese Zeiten kann man mit bestimmten Ritualen füllen, die sich jeden Tag wiederholen. Auf diese Weise kann sich der Körper auf den bevorstehenden Tag bzw. Schlaf einstellen und vorbereiten. So erhöht sich beispielsweise bei Menschen mit einem festen Schlafrhythmus die Melatoninproduktion schon 2 Stunden vor der gewohnten Schlafphase. Allerdings wird dieser Prozess gehemmt durch kurzwelliges blaues Licht, das in unsere Augen dringt. Das geschieht besonders durch unsere Mediengeräte, die vor allem blaues Licht abstrahlen und uns wieder wach machen. Deshalb: Mobile Geräte am besten rechtzeitig vor dem Schlafen ausschalten oder einen Blaufilter benutzen. Langwelliges, rotes Licht hat diesen Effekt nicht. Deshalb eignet es sich besser als Beleuchtung vor dem Schlafen gehen.

Körperliche Anstrengungen wie Sport oder auch ein heißes Bad sowie eine Sauna sind gut, aber nicht direkt vor dem Schlafengehen. Als Vorbereitung auf den Schlaf beginnt der Körper, die Körpertemperatur zu senken, und erreicht gegen 3 Uhr nachts, je nach Chronotyp, das Minimum. Eine Erhöhung der Körpertemperatur am späten Abend würde diesem Mechanismus entgegenwirken und den Schlaf stören.

Die psychologische Forschung hat gezeigt, dass ein erwachsener Mensch seine Aufmerksamkeit maximal eineinhalb bis zwei Stunden auf eine Sache richten kann. Dieser Zyklus wird als basaler Ruhe- und Aktivitätszyklus bezeichnet. Machen wir also nach eineinhalb Stunden konzentrierter Arbeit zirka 15 Minuten Pause und beschäftigen uns mit etwas ganz anderem, erhöhen wir unsere Produktivität. Das entspricht interessanterweise unserem Schlafrhythmus.

Am Abend, wenn wir langsam zur Ruhe kommen, lassen uns manchmal Konflikte und Probleme des Tages oder des Lebens nicht einschlafen. Unsere Sorgen um die verschiedensten Dinge verzögern und hindern unser Einschlafen und stören somit unseren Schlaf. Dabei kann ein Dankbarkeitstagebuch helfen. 5 Dinge, für die man dankbar ist, werden jeden Tag aufgeschrieben. Mehrere Studien stellten als positiven Effekt – neben einem subjektiven Glücksgefühl – auch einen besseren Schlaf fest.

Unser Körper ist auf eine Sieben-Tage-Woche ausgelegt und braucht mindestens einen Tag der Ruhe, an dem wir unseren Alltag und unsere tägliche Beschäftigung hinter uns lassen und uns auf die wichtigen Dinge des Lebens konzentrieren können: Ehepartner, Kinder, Familie, Freunde, Natur, Erholung, Stille und Gott.

Eine Rhythmisierung unseres Lebens verhindert nicht nur Krankheiten und schafft bessere Gesundheit, sie unterstützt auch die Behandlung von Krankheiten und den Heilungsprozess. In einer Studie zeigten Patienten mit Dickdarmkrebs unter einer klaren Rhythmisierung eine höhere Lebensqualität, ein besseres Ansprechen der Chemotherapie und eine längere Überlebensdauer. 

Alles hat seine Zeit

Die Chronobiologie schenkt uns einen Zeit« ( Die Bibel, Prediger 3) – und somit neuen Blick auf die Zeit in Bezug zu unserem Körper. Wir leben in einer zeit, die immer schnelllebiger wird, und scheinbar haben wir immer weniger Zeit. Wir sparen kurzfristig Zeit auf Kosten unserer Gesundheit, aber am Ende geht die Rechnung nicht auf: Wir werden krank und verlieren dadurch mehr Zeit als wir scheinbar gewonnen haben. Ist es nicht an der Zeit, die Architektur unserer Zeit neu zu überdenken und Zeit-Räume zu schaffen, die mehr den biologischen Rhythmen unseres Körpers entsprechen, damit wir gesünder und glücklicher leben?

Schon einer der weisesten Menschen dieser Erde sagte einmal: »Alles hat seine Zeit« (Prediger 3) – und somit neuen Blick auf unsere biologischen Rhythmen und unsere Gesundheit.

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Tobias Göbel

Arzt für Innere Medizin und Notfallmedizin am Kreiskrankaus in Torgau.