Die meisten Kunstwerke möchten einfach nur schön sein (manche auch das Gegenteil). Die Nürnberger Stadtväter wollten mehr – und ließen sich 1616 beim Bau ihres neuen Rathauses für die Westfront (siehe Rückseite) etwas ganz Besonderes einfallen: vier Steinskulpturen von berühmten Königen antiker Weltreiche.
Sicher wissen Sie, dass rund 100 Jahre zuvor Martin Luther mit seinen 95 Thesen darüber, wie ein Mensch Gnade bei Gott findet, die Reformation ausgelöst hatte. Die Nürnberger hatten sich ganz auf seine Seite geschlagen, und als überzeugte Protestanten und Gegner päpstlicher Gewissensdiktatur wollten sie aller Welt demonstrieren, dass sie der Bibel als göttlichem Wort vertrauten – und nicht menschlich erdachten Traditionen.
Dazu wählten sie einen Abschnitt aus dem biblischen Buch »Daniel«, der rund 2500 Jahre Weltgeschichte beschreibt – prophetisch, also im Voraus! Die vier steinernen Personen über den Westportalen des Rathauses repräsentieren vier große Reiche, die ab der Zeit des Propheten Daniel nacheinander aufkamen (von links nach rechts).
Babylon
Das erste Reich war Babylon mit seinen berühmten »hängenden Gärten«, die zu den antiken Weltwundern zählten. Zu sehen ist König Nebukadnezar, der von 605 – 562 v. Chr. regierte. Der Prophet Daniel sieht das babylonische Reich in seiner Vision durch »einen Löwen mit Flügeln wie ein Adler« (Daniel 7, Vers 4) symbolisiert (am Rathaus hinter Nebukadnezars Beinen zu erkennen). Der geflügelte Löwe war typisch für Babylon. Im Berliner Pergamon-Museum ziert er das bekannte babylonische Ischtar-Tor.
…