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Gesundheit

Der Rhythmus des Lebens

Wie die Zeit unsere Biologie beeinflusst

Zeitumstellung. Jeden Frühling und Herbst heißt es von Neuem: Zeit umstellen um eine Stunde! Im Herbst freuen wir uns über eine Stunde mehr Schlaf, müssen sie im Frühjahr aber widerwillig wieder abgeben. Mittlerweile hat die Diskussion um die Zeitumstellung die Öffentlichkeit und das europäische Parlament erreicht. Es wird über die Auswirkungen auf unseren Körper und unsere Psyche berichtet und debattiert. Aber macht diese eine Stunde wirklich so einen großen Unterschied? Kommt dabei unser biologischer Rhythmus tatsächlich aus dem Takt? Welche Rolle spielt überhaupt der Faktor Zeit in unserem menschlichen Organismus? Da wären wir in der Wissenschaft der Chronobiologie angelangt, dessen Erkenntnisse in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit gefunden haben und denoch in der Arbeitswelt und im Gesundheitswesen zu wenig Beachtung finden.
Von Mimosen und Bunkern

Im 18. Jahrhundert beobachtete Jean Jacques d’Ortous de Mairan, ein französischer Geophysiker (1678 – 1771), bei Mimosen eine Bewegung der Blätter in Abhängigkeit von der Tageszeit: Am Tag hoben sich die Blätter und in der Nacht senkten sie sich. 1729 unternahm er ein Experiment, in dem er die Mimosen völliger Dunkelheit aussetzte und die Bewegung der Blätter beobachtete. Die Pflanzen hielten die tägliche Rhythmik mit einer gewissen Ungenauigkeit bei, und der erste endogene (aus sich kommende) Rhythmus war entdeckt.

Ab 1963, also über 200 Jahre später, in Andechs, einem Ort südwestlich von München, führte Jürgen Aschoff (1913 – 1998), deutscher Biologe und Verhaltensphysiologe, »Bunkerexperimente« mit Studenten durch. Dabei verbrachten die Studenten teils mehrere Wochen in einem alten schalldichten Wehrmachtsbunker und später in einem eigens für solche Experimente gebauten »Bunker« ohne Zeitmesser und Einflüsse von außen. Die Probanden bestimmten die Wach-, Schlaf- und Essenszeiten selbst. Dabei hielten die insgesamt 300 Versuchspersonen über Monate lang einen inneren Tag-Wach-Rhythmus mit einer mittleren Periodendauer von 24,86 Stunden aufrecht. Diese Versuche deuteten auf die Existenz einer »inneren Uhr« hin, die ohne äußere Einflüsse (Zeitgeber) einen eigenen Rhythmus generieren kann.

Zusammen mit Erwin Brünning (1906 – 1990), Colin Pittendrigh (1918 – 1996) und anderen ist Aschoff der Mitbegründer der Chronobiologie, die sich mit der zeitlichen Organisation von biologischen Systemen und Prozessen befasst und deren Gesetzmäßigkeiten auf verschiedenen Ebenen eines Organismus erforscht.
2017 wurden die Wissenschaftler Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young für ihre Entdeckungen hinsichtlich der Genetik der inneren Uhr mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Die Chronobiologie wurde dadurch erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt.

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Tobias Göbel

Arzt für Innere Medizin und Notfallmedizin am Kreiskrankaus in Torgau.